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Harn- und Geschlechtsapparat der Schildkröte

Der Harn- und Geschlechtsapparat (lat. Apparatus urogenitalis, auch Urogenitaltrakt oder Harnsystem genannt) fasst die Harnorgane (Organa urinaria) und Geschlechtsorgane (Organa genitalia) zusammen. Dazu zählen bei Schildkröten u. a. die Nieren, Harnleiter, Harnblase, Penis und Hoden (beim Männchen), Eierstöcke, Eileiter und Klitoris (beim Weibchen) und die abschließende Kloake.

Topografische Darstellung der Organe einer Schildkröte. (C) Dominik Müller

Topografische Darstellung der Organe einer Schildkröte. (C) Dominik Müller

Harnorgane (Organa urinaria)

Harnorgane dienen vor allem dazu, den Wasserhaushalt und den pH-Wert des Körpers zu regulieren sowie lösliche Stoffwechselendprodukte und giftige Substanzen auszuscheiden.

Niere (Nephros, Ren)

Die Nieren der Schildkröten sind im Verhältnis zum Körpervolumen relativ groß und flach. Die Oberfläche der Nieren ähnelt den Windungen des Gehirns.

Topografische Darstellung der Harn- und Geschlechtsorgane einer Schildkröte. (C) Dominik Müller

Topografische Darstellung der Harn- und Geschlechtsorgane einer Schildkröte. (C) Dominik Müller

Die Nieren befinden sich direkt unterhalb des Rückenpanzers (Carapax) auf Höhe der Beckenpfanne (Acetabulum) und damit im Gegensatz zu anderen Reptilien, symmetrisch im Körper. Über die kurzen Harnleiter (Ureter) gelangt der Harn zunächst in den Harnabschnitt der Kloake (Urodaeum) und tritt schließlich rückläufig (retrograd) in die Harnblase über.

Besonderheit der Nierenpfortader (Vena portalis renalis)

Reptilien besitzen, genau wie Vögel und Amphibien, ein Nierenpfortadersystem. Diese Pfortader unterscheidet sich jedoch von anderen Pfortadern, denn sie ist paarig angelegt und erfasst daher sowohl die linke, als auch die rechte Niere.

Klinischer Hinweis: Sollten bei Ihrer Schildkröte einmal eine Injektion (Spritze) notwendig werden, so ist unbedingt darauf zu achten, dass diese möglichst nicht in der hinteren Körperhälfte erfolgt, da sich das verabreichte Medikament sonst in sehr hoher Konzentration im Nierengewebe anreichert und zu irreperablen Schäden führen kann. Ausnahme: Wenn eine Wirkung innerhalb der Nieren beabsichtigt ist, so sollte die Injektion logischerweise gezielt in der hinteren Körperhälfte vorgenommen werden.

Harnblase (Vesica urinaria)

Bauchansicht (Ventralansicht) einer Maurischen Landschildkröte (Testudo graeca) nach Entfernung der Serosa. Auffällig ist die pathologische Veränderung des Harntrakts (übermäßige Urate, grünliche Verfärbung). (C) Dominik Müller

Bauchansicht (Ventralansicht) einer Maurischen Landschildkröte (Testudo graeca) nach Entfernung der Serosa. Auffällig ist die pathologische Veränderung des Harntrakts (übermäßige Urate, grünliche Verfärbung). (C) Dominik Müller

Die Harnblase ist ein sackartiges und zwei-zipfliges Gebilde und befindet sich bauchseitig (ventral) im Panzer der Schildkröte. Besonders Landschildkröten sind dazu befähigt, über einen längeren Zeitraum Harn in der Harnblase zu speichern und über die Blasenwand Wasser rückzuresorbieren. Dadurch können sie Perioden mit wenig Niederschlag überstehen, ohne erneut Wasser aufnehmen zu müssen.

Zu beachten: Landschildkröten sind in ihrem natürlichen Lebensraum (Habitat) auf dieses Wasserreservoir unbedingt angewiesen! Sollten Sie also in der Natur auf eine Landschildkröte stoßen, fassen sie diese bitte nicht an! Bei Stress (vor allem beim Hochheben) entleeren wildlebende Landschildkröten in der Regel ihre gesamte Blase, was in einer trockenen Periode den Tod des Tieres bedeuten kann!

Geschlechtsorgane (Organa genitalia)

Die Genitalien dienen der Vermehrung und lassen sich in die männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane einteilen. Bei Schildkröten ist die Geschlechtsbestimmung erst ab einem gewissen Alter möglich, da sich erst dann die äußeren geschlechtsspezifischen Merkmale ausbilden. Äußere Geschlechtsorgane sind bei Schildkröten nicht vorhanden. Auch Hoden und Penis liegen versteckt im Innern des Panzers, was eine Geschlechtsbestimmung vor Eintritt der Geschlechtsreife erschwert.

Männliche Geschlechtsorgane (Organa genitalia masculina)

Die paarig angelegten, ovalen Hoden der männlichen Schildkröten befinden sich vorderseits und unterhalb (kranioventral) der Nieren. Die Samenleiter (Ductus deferentia) laufen von den auffallend gelb- bis orangenfarbenen Nebenhoden (Epididymis) zum unten (ventral) liegenden Geschlechtsabschnitt der Kloake (Proctodaeum).

Ausgestülpter Penis einer semiadulten Italienischen Landschildkröte (Testudo hermanni hermanni). (C) Dominik Müller

Ausgestülpter Penis einer semiadulten Italienischen Landschildkröte (Testudo hermanni hermanni). (C) Dominik Müller

Der Penis der männlichen Schildkröten ist im Proctodaum lokalisiert. Er stellt ein muskulöses Gebilde dar, welches im vorderen Bereich eine tellerförmige Gestalt aufweist und zusammengerollt aus der Kloake herausgestülpt werden kann. Der Penis selbst besitzt keinen Samenleiter, sondern weist nur eine Rinne auf, über die das Sperma bei der Paarung vom Proctodaum des Männchens in die weibliche Kloake weitergeleitet wird. Beim Absatz von Harn hat der Penis keinerlei Funktion, da der Urin über die Kloake abgesetzt wird.

Weibliche Geschlechtsorgane (Organa genitalia feminina)

Auch die Eierstöcke (Ovarien) sind paarig angelegt und stellen das Gegenstück der männlichen Keimdrüsen (Gonaden) dar. Sie befinden sich ebenfalls kranioventral der Nieren und produzieren sowohl Eizellen als auch Hormone. Die Ovarien bestehen aus einem Fächer von ganz unterschiedlich großen Follikeln. Je reifer ein Follikel, desto mehr tritt er hervor. Über den Eileiter (Tuba uterina) gelangen die befruchtungsfähigen Eizellen weiter. Innerhalb des Eileiters kommt es bei der Paarung zur Befruchtung.

Schlupf einer Griechischen Landschildkröte (Testudo hermanni boettgeri).

Schlupf einer Griechischen Landschildkröte (Testudo hermanni boettgeri).

Schildkröten sind ovipare Reptilien, d.h., sie legen befruchtete Eier ab, woraufhin die Entwicklung der Jungtiere im Ei und der Schlupf außerhalb des Muttertieres stattfindet.

Besonderheit der Spermaspeicherung (Amphigonia retardata)

Weibliche Schildkröten sind, genau wie einige Schlangenarten, dazu befähigt, Sperma in speziellen Röhrchen (Tubuli) in einer Engstelle (Isthmus) innerhalb des Eileiters (Ovidukts) über einen längeren Zeitraum hinweg zu konservieren. Dadurch können auch noch nach Monaten bis Jahren nach dem letzten sexuellen Kontakt mit einem Männchen, Eizellen befruchtet werden.