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Systematik und Nomenklatur der Schildkröten

Die Systematik ist ein Teilgebiet der Biologie und beschäftigt sich mit der Ordnung und Einteilung aller Lebewesen auf der Erde. Sie ist eine sich ständig verändernde Wissenschaft, die von den Fortschritten der modernen Analysemöglichkeiten profitiert.

In dem Buch Bartagamen: Biologie, Pflege, Zucht, Erkrankungen, Zuchtformen von Gunther Köhler, Karsten Grießhammer und Norbert Schuster, welches im Herpeton-Verlag erschienen ist, wird die Systematik für jedermann verständlich erklärt, weshalb ich dieses Beispiel hier kurz mit einfließen lassen möchte. (An dieser Stelle herzlichen Dank für die Erlaubnis des Verlages!)

Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Berg Murmeln vor sich liegen und wollen eine Ordnung hinein bringen. Als erstes sortieren Sie die Murmeln nach Farben und haben anschließend vielleicht 3 verschiedene Häufchen vor sich. Dann fällt Ihnen auf, dass einige der roten Murmeln verschieden groß sind und teilen diese nochmals auf. Anschließend stellen Sie fest, dass die Murmeln auch noch verschieden schwer sind und eine verschieden glatte Oberfläche haben. Entdecken Sie irgendwo im Haus weitere Murmeln, sind Sie evtl. dazu gezwungen die Murmeln nochmals aufzuteilen oder neue „Murmel-Arten“ zu bilden.

Man stellt schnell fest, dass es hier schon schwierig ist eine „korrekte“ Ordnung herzustellen, da einem immer wieder Unterschiede und auf der anderen Seite auch Ähnlichkeiten auffallen.

Jetzt stellen Sie sich vor, dass jede „Murmel-Art“ eine Beschreibung benötigt, denn es muss ja einen Grund haben, dass sie „Murmel 46“ und „Murmel 94“ in die eine Art eingeteilt haben und „Murmel 12“ in eine andere.

Wenn die „Murmel-Arten“ nun alle eine Beschreibung haben, stellen Sie fest, dass einige der Häufchen Ähnlichkeiten aufweisen, die sie verbinden. Nun müssen sie ein übergeordnetes System bilden – und zwar eine „Murmel-Gattung“ die in mehrere „Murmel-Arten“ unterteilt wird.

In der Systematik der Biologie versucht man Gruppen zu bilden, die sich auf eine einzige Stammart zurückführen lassen. Alle Arten die einer Gattung untergeordnet sind, müssen charakteristische, verbindende Merkmale aufweisen, die sonst in keiner anderen Gruppe vorkommen. Man spricht bei solchen Merkmalen, die eine Gruppe von Lebewesen (Taxon genannt) von verwandten Gruppen (Taxa) unterscheidet, von Autapomorphie. Ein Beispiel dafür wäre die Wirbelsäule aller Wirbeltiere.

Um eine Gruppe von Lebewesen einem Taxon zuordnen zu können bzw. in mehrere Taxa aufzuteilen, müssen natürlich die charakteristischen Merkmale genauestens untersucht werden. Dabei wird nicht nur auf äußere Merkmale eingegangen, sondern z. B. auch die DNA der Arten analysiert und die Entwicklung vom juvenilen bis zum adulten (erwachsenen, geschlechtsreifen) Stadium berücksichtigt.

Schildkröten sind ein gutes Beispiel für die ständige Wandlung in der Systematik, da immer genauere Untersuchungen möglich sind und Arten völlig neuen Gattungen untergeordnet bzw. in Unterarten aufgeteilt wurden und noch immer werden.

Systematik der Schildkröten

Bis heute ist die systematische Stellung der Schildkröten ein heiß diskutiertes Thema unter den Wissenschaftlern. Die einen sehen die Schildkröten innerhalb der Anapsida (Schläfengrubenlosen) eingeordnet, da sie keine Temporalöffnung in der Schläfenregion des Schädels aufweisen. Für andere Wissenschaftler gehören Schildkröten zu den Diapsida, da sie ihrer Meinung nach sehr wohl Öffnungen im Temporalbereich des Schädels aufwiesen, diese aber im Laufe der Zeit wieder verloren.

Anapsiden zeichnen sich durch einen massiven Schädel sowie das Fehlen der Schläfengrube aus. (C) Dominik Müller

Anapsiden zeichnen sich durch einen massiven Schädel sowie das Fehlen der Schläfengrube aus. (C) Dominik Müller

Neben den Anapsida werden die Diapsida beschrieben, welche ein oberes und ein unteres Temporalfenster in der Schläfenregion aufweisen. (C) Dominik Müller

Neben den Anapsida werden die Diapsida beschrieben, welche ein oberes und ein unteres Temporalfenster in der Schläfenregion aufweisen. (C) Dominik Müller

Folgt man der Auffassung der Anapsida, so wären die Schildkröten das Schwestertaxon der Pareiasauria oder aus diesen hervorgegangen. Ist man widerum der Auffassung, dass Schildkröten den Diapsida zugeordnet werden sollten, so wären sie entweder näher mit den Archosauria (also Vögel, Krokodile, Dinosaurier) oder aber mit den Lepidosauria (Echsen und Schlangen) verwandt. Nach der Archosauria-Hypothese gehören die Schildkröten zu den Archosauromorpha und wären wahrscheinlich die Schwestergruppe der Rhynchosauria. Die Anhänger der Lepidosauria-Theorie vermuten einen marinen (aus dem Wasser stammenden) Ursprung der Schildkröten und sehen sie als Schwestertaxon der Sauropterygia, eine Gruppe großer mariner Reptilien aus dem Mesozoikum (Erdmittelalter), die zusammen mit den Lepidosauria das Taxon Lepidosauromorpha bilden.

Wie man sieht, ist die Systematik der Schildkröten noch lange nicht geklärt und neuere fossile Funde sorgen immer wieder für „Zündstoff“..

Innere Systematik der Schildkröten

Schildkröten werden unterteilt in die Halsberger (Cryptodira), welche ihren Kopf, durch eine senkrechte Krümmung der Halswirbelsäule, vollständig in den Panzer zurückziehen können sowie in die Halswender (Pleurodira), die ihren Kopf horizontal durch eine seitliche Krümmung unter den Panzer legen können.

Halsberger (Cryptodira)

  • Chelonioinea
    • Meeresschildkröten (Cheloniidae)
    • Lederschildkröten (Dermochelyidae)
  • Chelydroidea
    • Alligatorschildkröten (Chelydridae)
  • Testudinoidea
    • Neuwelt-Sumpfschildkröten (Emydidae)
    • Altwelt-Sumpfschildkröten (Geoemydidae)
    • Landschildkröten (Testudinidae)
  • Kinosternoidea
    • Tabascoschildkröten (Dermatemydidae)
    • Schlammschildkröten (Kinosternidae)
  • Trionychoidea
    • Weichschildkröten (Trionychidae)
    • Papua-Weichschildkröten (Carettochelyidae)

Halswender (Pleurodira)

  • Schlangenhalsschildkröten (Chelidae)
  • Pelomedusenschildkröten (Pelomedusidae)

Nomenklatur

Jedes Lebewesen auf der Erde besitzt eine wissenschaftliche Bezeichnung, die weltweit anerkannt und von Kennern verstanden wird.

Die binäre Nomenklatur setzt sich nach LINNÈ aus der Gattungs- und der Artbezeichnung zusammen. Wissenschaftlich wird die Griechische Landschildkröte mit „Testudo hermanni“ bezeichnet. „Testudo“ ist dabei die Bezeichnung der Gattung und „hermanni“ die Bezeichnung der Art.

Die Bezeichnung der Art wird meist nach dem Namen des Erstbeschreibers, einer ihm nahestehenden Person, dem Fundort/Gebiet der Herkunft oder einer Besonderheit der Art vergeben. Beispiele dafür wären:

  • Testudo hercegovinensis (nach dem Fundort „Herzegowina“ benannt.)
  • Testudo werneri (nach dem Erstbeschreiber, der mit Nachnamen „Werner“ hieß, benannt.)
  • Testudo marginata (nach den hinten stark ausfallenden Randschilden benannt.)

Hinter dem Artenname kann auch noch eine Unterart-Bezeichnung stehen (z. B. Testudo hermanni boettgeri). Eine Unterart stellt hierbei meist durch räumliche Isolation enstandene Population einer Stammart dar. Die einzelnen Populationen weisen genetisch Unterschiede auf, die aber nicht automatisch den Status einer eigenen Art rechtfertigen. Evolutiv gesehen, befindet sich jede Unterart auf dem Weg zur Art, da die Unterschiede im Laufe der Zeit immer größer werden. Verschiedene Unterarten einer Art lassen sich in der Regel noch verpaaren und bringen noch lebensfähige Nachkommen auf die Welt. Diese Vermischung findet in der Natur nicht oder nur sehr selten statt, denn die Unterarten leben weitestgehend voneinander isoliert. Als Beispiel dienen zwei Unterarten der Maurischen Landschildkröte: Testudo graeca zarudnyi ist im Ost-Iran beheimatet und Testudo graeca nabeulensis in Griechenland und Umgebung.